Aktionsplattform des ver.di Teams Finanzdienstleistungen aus Niedersachsen/Bremen

Gewerkschaftsrechte digital

Die Anpassung der Gewerkschaftsrechte an digitalisierte Kommunikationsformen

Für die Gewerkschaften ist eine Umstellung auf die neuen Formen der Informationsübermittlung von essenzieller Bedeutung. Die arbeitsbezogene Kommunikation verlagert sich immer mehr auf die elektronischen Medien; über 60 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen am Arbeitsplatz über einen PC, 55 % über einen Internetanschluss. Dazu kommen zahllose mobile Geräte. 

Wäre die Gewerkschaft unter solchen Umständen nicht auch auf dem Bildschirm präsent, würde sie im Bewusstsein der Beschäftigten immer mehr zu einer Hintergrundgröße verblassen. 

Diese Sicht wird ausdrücklich auch vom Bundesarbeitsgericht (BAG) geteilt, das ausdrücklich betont hat:

„Auch ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass Gewerkschaften,

die sich des betrieblichen E-Mail-Systems nicht bedienen können, bei den Arbeitnehmenden zunehmend als „veraltet“ gelten und Akzeptanzverluste gewärtigen müssen.“

Die zuständige Gewerkschaft tritt „von außen her“ an die Beschäftigten heran, um sie mit gewerkschaftlichen Informationen zu versorgen und sie um Unterstützung zu bitten. Dabei können sowohl Mitglieder wie auch Nichtmitglieder „angemailt“ werden. Die Initiative kann von der Organisation ausgehen, als auch von aktiven Gewerkschaftsmitgliedern die von ihren privatenen E-Mail-Anschlüssen aus eine entsprechende Aktion startet. Was ist dabei erlaubt? 

Unproblematisch ist zunächst der Fall, dass den Arbeitnehmenden das Recht eingeräumt ist, von ihren dienstlichen E-Mail- und Internet-Anschlüssen auch für private Zwecke Gebrauch zu machen. Hier bestehen von vornherein keine Bedenken dagegen, dass die Gewerkschaft eine E-Mail schickt und diese auch vom Adressaten gelesen und beantwortet wird. Ob diese von außen oder von einem Kollegen im Betrieb stammt, spielt keine Rolle. 

Die Benutzung der E-Mail-Adressen ist gegenüber Gewerkschaftsmitgliedern durch den Zweck der Mitgliedschaft gerechtfertigt. Bei Nichtmitgliedern dürfte das auf Art. 9 Abs. 3 GG beruhende Betätigungsrecht der Gewerkschaft die Rechtsgrundlage darstellen – nicht anders, als wenn ein Arbeitskollege in der Pause oder bei sonstiger sich bietender Gelegenheit den Betroffenen anspricht und nach seiner Meinung über die Gewerkschaft fragt.

 

Ist lediglich eine dienstliche Nutzung gestattet, dürfen laut dem BAG ebenfalls Gewerkschaftliche Informationen verteilt werden. Dem gewerkschaftlichen Betätigungsrecht wurde ein Vorrang eingeräumt da “allenfalls geringfügige wirtschaftliche Belastungen“ des Arbeitgebers auf Seiten der Gewerkschaft „ein geschütztes Interesse von erheblichem Gewicht“ gegenüber stehe.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass es bislang in der Rechtsprechung nie beanstandet wurde, dass die Gewerkschaft an Arbeitnehmer unter deren Dienstadresse traditionelle Briefe verschickte: Diese zu öffnen und sie ggf. einzustecken oder in den Papierkorb zu werfen, erfordert sehr viel höheren Aufwand als die entsprechenden Vorgänge bei einer E-Mail.

Zudem: die Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers sei erst dann in relevantem Umfang berührt, wenn der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden gestört würden. Von der Überschreitung dieser Grenze kann aber selbst bei einer E-Mail mit umfangreichem Attachment nicht die Rede sein. In einem solchen Fall wäre es Sache des Arbeitnehmers, den eingegangenen Text zu speichern und ihn  während der Pausen oder nach Ende der Arbeitszeit zu lesen.

Dass eine von außen kommende E-Mail im Einzelfall Viren enthalten kann, ist nie völlig auszuschließen. Es handelt sich dabei gewissermaßen um ein der digitalen Kommunikation immanentes Risiko, das man nach Kräften reduzieren, aber nicht völlig ausschließen kann.

Einen Kontakt allein wegen dieses Risikos auszuschließen oder einzuschränken, kommt nur bei Adressen oder Einrichtungen in Betracht, bei denen ein konkreter Verdacht z.B. auf Phishing besteht. Die Gewerkschaften gehören nach allgemeiner Auffassung nicht in diese Kategorie von Internet-Usern. 

Das Verhalten der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

  • Handeln als aktives Gewerkschaftsmitglied
    Rechtlich macht es durch die Koalitionsfreiheit keinen Unterschied, ob die E-Mail von der „Ortsverwaltung der ver.di“ oder vom Gewerkschaftsmitglied abgesandt wurde, das hierfür sein privates Gerät zur Verfügung stellte.
  • Reaktion als angesprochene Person
    Einzelnen Angesprochenen steht es frei, auf die eingegangene „Botschaft“ zu reagieren. Sie können erfreut oder abweisend antworten oder sich in Schweigen hüllen. Auch dies wird vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG mit umfasst. Insoweit gilt nichts anderes als bei einem persönlichen Gespräch – sieht man einmal von der rechtlich nicht ins Gewicht fallenden Tatsache ab, dass ein „lass mich in Ruhe“ oder „hau ab“ eher gegen die Regeln des menschlichen Anstands verstößt als die Löschung einer E-Mail per Mausklick.
  • Eigene Initiativen des Arbeitnehmers
    Denkbar ist schließlich auch der Fall, dass nicht die Gewerkschaft an Einzelne, sondern Einzelne an die Gewerkschaft herantreten.  Auch ein solcher Vorgang wird von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst.216 Dieser ist ein Grundrecht nicht nur für „Aktivisten“, sondern auch für diejenigen, die erst überlegen wollen, ob sie sich mit anderen „zur Wahrung und Förderung der Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen“ zusammenschließen wollen. Das ist bisher nie als Problem empfunden worden und sollte auch unter den Bedingungen elektronischer Kommunikation keines werden.

Beschaffung von E-Mail Adressen

In folgenden Fällen ist die Beschaffung und Nutzung der E-Mail Adressen von Beschäftigten unproblematisch:

  • Gewerkschaftsmitgliedschaft liegt vor
  • Wenn die E-Mail Adresse öffentlich zugänglich ist (z.B. Homepage, Social Media, Impressum)
  • Unternehmensverzeichnis, das auch Kundinnen und Kunden zugänglich ist

 

Es bleibt eine mehr oder weniger große Restgruppe, die unter keine der genannten Voraussetzungen fällt.

Einzelne Belegschaftsangehörige sehen es möglicherweise eher ungern, dass die von ihnen abgelehnte Gewerkschaft ihre Mail-Anschrift kennt, weil sie „mit einer solchen Organisation“ nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Dass dies ein gegenläufiges Interesse ist, steht außer Zweifel; dass es gegenüber dem „berechtigten Interesse“ der Gewerkschaft überwiegen soll, ist nicht erkennbar.

Werbung ist daher immer dann zulässig, wenn ein potenzieller Kunde mit ihr rechnen muss. Mittelbar wird dies durch Art. 21 Abs. 2 DSGVO bestätigt, wonach die betroffene Person einer Fortsetzung der an sie gerichteten Werbung jederzeit widersprechen kann.

Daraus ergibt sich: Wer als Arbeitnehmer tätig ist, muss 
nach der Lebenserfahrung davon ausgehen, dass er Mails nicht nur von der Personalabteilung und dem Betriebsrat, sondern auch von einer Gewerkschaft erhält.

Legt man dies zugrunde, so können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine Liste mit allen im Betrieb vergebenen E-Mail-Accounts besitzen, diese an die Gewerkschaft weitergeben. Dies wird zusätzlich dadurch gerechtfertigt, dass das „berechtigte Interesse“ des Empfängers durch das Grundgesetz einen höheren verfassungsrechtlichen Schutz genießt als die kommerzielle Werbung.

Was zu ihren Gunsten hinnehmbar ist, muss es erst recht in Bezug auf die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit sein. Sinnvollerweise wird die Gewerkschaft ihrem Anschreiben einen Hinweis beifügen, dass der Angeschriebene jederzeit mitteilen kann, von der Liste der Adressaten gestrichen zu werden.

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